Sind digitale Begehungen zulässig?
Ein Kunde fragte uns jüngst, warum wir keine digitalen Begehungen durchführen und das obwohl die digitale Welt inzwischen unverzichtbar sei.
Wir von KUECK Industries wollen digital auf dem Pfad der Zeit unterwegs sein. Das muss aber für Sie und uns rechtskonform vonstattengehen. Deswegen haben wir das Thema „digitale Begehungen“ auch mit externen Fachleuten überprüft und kommen zu nachfolgendem Ergebnis.
Was sagt der Gesetzgeber zu digitalen Begehungen?
Eine konkrete Regelung zur Durchführung von digitalen Begehungen seitens des Gesetzgebers oder der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) liegt aktuell nicht vor. Zwar wird in öffentlichen Äußerungen der Politik immer wieder die Digitalisierung angesprochen und gefordert, doch die aktuellen gesetzlichen Vorschriften sehen eine Betriebsbegehung „nur“ vor Ort unter Beteiligung der Beschäftigten vor.
Die Pflicht zur Durchführung von Begehungen ergibt sich als Pflicht für die Fachkraft für Arbeitssicherheit aus den § 6 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und für den Betriebsarzt aus § 3 des ASiG. Hinzu komme die Zusammenarbeitsverpflichtung nach §§ 9 und 10 ASiG. Denn gerade in § 10 heißt es:
„Die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammenzuarbeiten. Dazu gehört es insbesondere, gemeinsame Betriebsbegehungen vorzunehmen. Die Betriebsärzte und die Fachkräfte für Arbeitssicherheit arbeiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit den anderen im Betrieb für Angelegenheiten der technischen Sicherheit, des Gesundheits- und des Umweltschutzes beauftragten Personen zusammen.“
Weiterhin sieht die DGUV Vorschrift 2 in Anhang 3 unter Ziffer 2.1 vor, dass es zu den Aufgaben der Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit gehört, „in regelmäßigen Abständen Begehungen durchzuführen“. Auch hier ist nicht von digitalen Begehungen die Rede.
Aus dem § 89 Absätze 4 und 5 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ist Folgendes zu berücksichtigen:
„(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.
(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.“
In den einschlägigen Kommentaren zu diesen Regelungen wird immer davon ausgegangen, dass Besichtigungen in Präsenz stattfinden und nicht per Video.
Als nächstes kann der § 20 „Bestellung und Aufgaben von Sicherheitsbeauftragten“ Absatz 3 der DGUV Vorschrift 1 herangezogen werden. Dieser enthält folgende Aussage:
„Der Unternehmer hat den Sicherheitsbeauftragten Gelegenheit zu geben, ihre Aufgaben zu erfüllen, insbesondere in ihrem Bereich an den Betriebsbesichtigungen sowie den Untersuchungen von Unfällen und Berufskrankheiten durch die Aufsichtspersonen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen; den Sicherheitsbeauftragten sind die hierbei erzielten Ergebnisse zur Kenntnis zu geben.“
Die hier dargestellten Auszüge aus diversen Rechtsnormen zeigen, dass gemeinsame Begehungen durch die Arbeitsschutzakteure und somit durch den Arbeitgeber oder einem von ihm Beauftragten, den Betriebsrat, dem Betriebsarzt, den Fachkräften für Arbeitssicherheit, den Sicherheitsbeauftragten und ggf. weiteren Fachleuten durchzuführen sind. Der digitale Wandel ist im Vorschriftenwerk noch nicht angekommen.
Was sagen andere Quellen über digitale Begehungen?
Hinsichtlich der Durchführung digitaler Begehungen kann auch die Veröffentlichung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) mit dem Titel „Sichtbarkeit und Umsetzung – die Digitalisierung verstärkt bekannte und erzeugt neue Herausforderungen für den Arbeitsschutz” interessante Erkenntnisse liefern.
Eine Essenz ist, dass die Digitalisierung eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten und -orten fördert. Mithilfe von Interviews stellt die Studie sieben defizitäre Phänomene des Arbeitsschutzes in flexibilisierten Arbeitsverhältnissen heraus. Dabei liegt immer wachsende Unsichtbarkeit zugrunde: Probleme, Belastungen, Gefährdungen, aber auch Gestaltungsmöglichkeiten und Kooperationen verlieren durch Flexibilisierung ihre Sichtbarkeit. Die konkrete Umsetzung des Arbeitsschutzes wird so erschwert. Im Abschnitt 4.2.4 der Studie ist folgendes beschrieben:
Die durch die Digitalisierung ausgelöste Flexibilisierung von Zeit und Raum erzeugt Arbeitsformen, auf die der Arbeitsschutz nicht oder nur sehr schlecht zugreifen kann.
Das Arbeitsschutzsystem hat sich auf feste Arbeitsplätze ausgerichtet und ist damit durchaus erfolgreich. Dieses Prinzip wird in Frage gestellt, wenn Arbeitsplätze nicht mehr zugänglich sind und Kollegen nicht mehr gesehen und erlebt werden. Mit den flexiblen Arbeitszeiten und -orten verschwindet ihre Sichtbarkeit, die jedoch für den Arbeitsschutz ein zentraler Ansatzpunkt ist.
Dieses Phänomen ist eine Eigenart flexibler Arbeit, die dem Arbeitsschutz den Zugang deutlich erschwert. Es tritt auch bei Betrieben auf, zu denen der Arbeitsschutz einen guten Zugang hat. Generell fallen bestimmte Gruppen atypisch Beschäftigter, etwa die Solo-Selbständigen oder Subunternehmer, ganz aus dem System des Arbeitsschutzes heraus. Je mehr Formen der Flexibilisierung zusammenkommen, desto größer sind die Zugriffsprobleme, die für den Arbeitsschutz daraus erwachsen. Mit der Arbeit auf Distanz und vermittelt über digitale Kanäle geht oftmals der informelle und niederschwellige Austausch zwischen den Beschäftigten verloren. So können z.B. gesundheitliche Probleme nicht innerhalb von Gelegenheitsbegegnungen erkannt oder thematisiert werden. Dieser für den Arbeitsschutz wichtige informelle Austausch geht in zeitlich und räumlich flexibilisierten Kontexten leicht verloren.
Aus Sicht der externen Experten ist zudem zu beachten, dass bei einer digitalen Begehung die Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeitsumgebung nicht vergleichbar mit einer Begehung vor Ort möglich sind und somit keine gesamtheitliche Betrachtung des Arbeitssystems erfolgen kann.
Eine interessante Feststellung zu diesem Thema liefert auch die Internetseite der Unfallversicherung Bund und Bahn (UVB) unter dem Titel „Ortsflexibles Arbeiten – Gestaltungsempfehlungen gesetzliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen“. Dort heißt es nämlich unter anderem:
Begehungen und Besichtigungen sind beim ortsflexiblen Arbeiten nur erschwert möglich. Deshalb werden Alternativen angeboten. Virtuelle Begehungen oder Beratungen auf der Grundlage von Bildern des Arbeitsplatzes bieten eine Unterstützungsmöglichkeit. Checklisten oder Handlungsleitfäden unterstützen die Beschäftigten beim Einrichten des Arbeitsplatzes. Betriebe weisen Beschäftigte – besonders beim mobilen Arbeiten – auf die stärkere Mitwirkungspflicht bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes hin und vermitteln das notwendige Wissen dazu.
Fazit.
Digitale Begehungen sind nicht verboten, aber unter Berücksichtigung der daran zu beteiligenden Personen nur schwer zu organisieren. Fachleute von staatlichen Stellen und Unfallversicherungsträgern sehen darin aber eher die unterstützende Ausnahme.
KUECK Industries wird mit Ihnen diese Optionen auf Wunsch besprechen und Möglichkeiten der Umsetzung prüfen. Aus haftungsrechtlichen Gründen ist eine Aufzeichnung der virtuellen Begehung für uns unabdingbar, solange der Gesetzgeber keine adäquate Regelung schafft. Dieser Aufzeichnung müssen dann ggf. alle Beteiligten zustimmen. Unsere Experten können dann jedoch nur das sehen und beurteilen, was ihnen bei digitalen Begehungen tatsächlich gezeigt wird.
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